Wolfgang Michal, Mitherausgeber von Carta, einem der bekanntesten Blogs Deutschlands, das in der Unterzeile gänzlich unbescheiden „digitale Öffentlichkeit, Politik und Ökonomie” für sich behauptet, hat unter dem Titel „Braucht es uns noch?“einen Abgesang auf sein ureigenes Medium geschrieben. Das Blog könne sterben gehen, die alten Medien hätten aufgeholt, dazugelernt, ach was, die Blogosphäre längst überflügelt. Wer heute etwas über digitale Dinge wissen wolle, könne sich getrost bei der alten Riege – FAZ, Zeit, Süddeutsche und wie sie nicht alle heißen – informieren. In den Blogs würde man inzwischen eh nur wiederkäuen, was auf den Startseiten der Verlagshäuser ehemals frisch und knackig war.
Michal. Blogs. Sterben. Das muss man erst mal sacken lassen. Sollte es sich bei dem Betreiber des heiß geliebten Aggregats der hiesigen Netzwelt etwa um einen verkappten FC-Bayern-Fan handeln? Einen, der plötzlich da stehen will, wo oben ist?
Natürlich hat Michal auch Recht. Die Portale der Zeitungen haben unendlich mehr Feuerkraft als es die meist aus persönlichem Antrieb heraus gestalteten Blogs jemals haben werden. Technisch haben sie den zusammengeschusterten Webseiten alles voraus. Dort, wo Know-How fehlt, wird es dazugekauft. Man gönnt sich auch mal einen Sascha Lobo. Oder eine Batterie schreibender Mitarbeiter, die fleißig übersetzen was internationale Netzmedien vorbeten. Selbst für aufwendige Recherchen ist Zeit, Geld und Personal vorhanden. Und die re:publica, Hort der deutschen Netzbewegung? Längst fest in der Hand der alten Medien.
Warum also dagegen anschreiben? Ist man als Blogger doch eh langsamer, unterbezahlter und zu guter Letzt noch ungelesener. Erfolg ist – das wissen wir nicht erst seit Uli Hoeneß – käuflich. Und sexy. Das gilt nicht nur für den wiedererstarkten Stern des Südens, sondern auch für die Journaille.
Ungeachtet dessen lieferte Michal die Antwort auf das Warum unlängst selbst. Verlage sind Tendenzbetriebe mit Blattlinien, die dem Streben nach Wahrheit nicht selten im Weg stehen. Das sah man anschaulich an der Debatte um das Leistungsschutzrecht. Nicht im Leben hätte man im Gros der Redaktionen daran gedacht, gegen etwas anzuschreiben, dessen gesamtgesellschaftlicher Nutzen – vornehm ausgedrückt – zweifelhaft, das dem eigenen Überleben aber durchaus dienlich ist. Pluralismus ist seit jeher ein hohes Gut. Solange genug für alle da ist und man selbst am sattesten wird.
Der Netzphilosoph Clay Shirky sagte einst, Publizieren sei kein Job und auch keine Industrie mehr, es sei viel mehr nur noch ein Knopf. Es ist wichtig, dass alle diesen Knopf drücken können. Und dies auch tun. Ob es sich nun um Journalisten, Blogger oder Trolle handelt. Eine liberale, aufgeklärte und pluralistische Gesellschaft muss sich dies sowohl leisten können als auch wollen.
Der Leser, dieses mystische Wesen, wird immer Orte brauchen, an denen ihn Publizisten wie Wolfgang Michal fernab des Mainstreams mit der Nase auf Dinge stoßen, die vielleicht nicht so leicht verdaulich, dafür aber wahrhaftig sind. So wie es zum Beispiel Carta während der perfiden Leistungsschutzrecht-Kampagne getan hat (und tut). Selbst wenn diese Orte nicht mehr Blogs heißen sollten, ist es unverzichtbar, dass es Menschen gibt, die weiterhin ihren Knopf drücken. Der Leser wird es danken. Und der FC Bayern wird nicht jedes JahrDeutscher Meister.