Vieles ist in letzter Zeit darüber geschrieben worden, wie Zeitungen zu retten seien. Es wurde an die Moral des Lesers appelliert und an dessen Bereitschaft, für Qualität zu zahlen, es wurden bezahlbare Mehrwerte und Paywalls angekündigt und schlussendlich umgesetzt. So ist unter anderem kürzlich mit viel Tamtam Springers Bezahlangebot Bild+ gestartet. Nicht wenige schauen hoffnungsvoll auf das Verlagshaus, dessen Alleinstellungsmerkmal seit jeher ist zu wissen, wie man etwas gut verkauft. Schenkt man einigen Kommentatoren Glauben, geht es der Zeitungsbranche aber um mehr als den schnöden Götzendienst an Hermes, dem Gott der Kaufleute. Vielmehr geht es darum, mit dem eigenen Fortbestehen das Überleben der Demokratie zu sichern. Das sind große Worte.
Die Debatte wird emotional geführt, es geht schließlich ans Eingemachte. Nicht wenig des Gesagten oder Geschriebenen darf man daher wohl getrost – oder beunruhigt – als gefechtshitzig bezeichnen. Vieles fußt vor allem auf der Sehnsucht nach den guten alten Zeiten und hat nur bedingt mit dem zu tun, was inzwischen fernab der Redaktionsräume passiert. Darauf einzugehen ist zwar notwendig, wurde aber an anderer Stelleschon zur Genüge getan. Hält man jedoch an einigen der durchaus richtigen Grundprämissen fest – zum Beispiel dem Überleben einer Branche, die tatsächliche eine Rolle in dieser Demokratie zu spielen hat, dem Wunsch nach Qualitätsjournalismus und einem Angebot, das Leser bereit sind zu zahlen – und orientiert sich mit etwas kühlerem Kopf an dem, was anderswo geschieht, so könnte man eine Idee davon bekommen, wie die deutsche Verlagslandschaft – zumindest teilweise und ausdrücklich im Konjunktiv – zu retten wäre. Aber wie könnte das funktionieren?
Es geht schließlich um eine Branche, die bis dato nicht mit einem tragfähigen Finanzierungsmodell für Online aufwarten kann. Sie sieht sich neben sinkenden Einnahmen aus dem Kerngeschäft – also dem Papier – einem Kunden gegenüber, dessen Konsumverhalten sich in den letzten Jahren deutlich und nachhaltig geändert hat. So scheint evident, dass eine Vielzahl von Menschen, die zum Beispiel früher noch von Tageszeitungen (Aktualität) oder Lokalzeitungen (Ort) abhängig waren, heute verstärkt auf internetbasierte Angebote setzen, die sowohl überregional als auch lokal, aktuell, aber eben auch billiger bzw. “kostenlos” agieren können. Otto Normalverbraucher bekommt mehr für weniger.
Das Angebot muss stimmen
Der Begriff „kostenlos“ jedoch ist insofern irreführend, als dass er unterstellt, dass die Inhalte “as in free beer” zur Verfügung gestellt werden. Das werden sie freilich nicht. Um in den Genuss dieser Inhalte zu kommen, muss der surfende Kunde erstens über einen (bezahlten) Internetzugang verfügen und zweitens in der Regel Werbung betrachten. An ersterem verdient der Verlag nichts, an zweiterem wenig. Unumstößlich bleibt jedoch, dass der Kunde auf die eine oder andere Art und Weise bereit ist, für Inhalte zu zahlen – auch, wenn das Geld je nach Blickwinkel mitunter nicht da ankommt, wo es ankommen soll. Dass online prinzipiell eine Zahlbereitschaft besteht, sieht man auch an den Verkaufszahlen diverser AppStores, an Streaming-Angeboten wie Spotify, an Stores wie iTunes oder an dem Umstand, dass ein Gros der ganz normalen Einkäufe inzwischen via Amazon, Ebay & Co digital eingetütet werden. So lang eben das Angebot stimmt. Und das tut es online meistens.
Zurück zum ominösen Leser. Dessen Konsumverhalten beschränkt sich inzwischen in den seltensten Fällen auf ein Produkt allein – etwa eine Zeitung, ein Nachrichtenportal oder ein Blog. Im Gegenteil, es dürfte unterdessen eine Vielzahl von Infotainmentjunkies geben, die zum Beispiel das Feuilleton derZeit genauso zu schätzen wissen wie den Sportteil der Bild-Zeitung, während sie sich über Netzthemen vielleicht doch lieberfernab der Verlagsangebote informieren wollen. Ganz zu schweigen davon, dass die ausländische Konkurrenz nicht schläft und beispielsweise bei den Themengebieten Tech, Musik und Kunst mehr als nur mitreden kann. Umso globaler das Angebot wird, desto vielfältiger wird auch die Nachfrage – eine Entwicklung mit offenem Ende.
Geht man also davon aus, dass der heutige Konsument bereits eine monatliche Grundpauschale für seinen Internetzugang zahlt, mit Werbung beschallt wird und gleichzeitig ein breit gefächertes Informationsverhalten an den Tag legt, ist nicht weiter verwunderlich, dass die bereits existierenden Bezahlangebote der Verlage bis dato wenn überhaupt nur zögerlich wahr genommen werden.
Das hat zwei Gründe. Erstens orientieren sich die Preise solcher Angebote in der Regel krampfhaft an Papierpreisen, die auf quasimonopolistischen Marktvorraussetzungen vergangener Tage beruhen, und dadurch zweitens zu hoch liegen, um das gesamte Budget eines Lesers im Hinblick auf das inzwischen wesentlich vielfältiger Konsumverhalten online in nur einen Anbieter zu investieren. Was wir momentan vielerorts beobachten, ist das Ausformulieren von Angeboten, die am Internetnutzer, dem Neukunden des sagenumwobenen Wachstumsmarktes, vorbei gehen.
Verlage sollten sich zusammenschließen
Vor allem für kleinere Verlage, im Grunde jedoch für die gesamte Branche, kann es daher auf lange Sicht – blendet man einmal den staatlichen Kohlepfennig à la Kulturflatrate aus – eine lohnende Möglichkeit geben, darauf zu reagieren. So könnte neben den klassischen Abos, Zusatzangeboten und Online-Werbung ein weiteres zukunftsträchtiges Standbein etabliert werden. Unter der Prämisse, dass dabei sowohl Vielfalt als auch Qualität erhalten bleiben soll, bleibt: ein Zusammenschluss des Angebots. Dieser "Zusammenschluss" könnte wiederum aufunterschiedlichste Arten verwirklicht werden. Die Möglichkeiten sprengen problemlos den Rahmen dieses Textes.
Um irgendwo anzusetzen, könnte man sich zum Beispiel eine gemeinsame Paywall vorstellen, eine Art Single Sign-on für Bezahlangebote auf den verschiedenen Webseiten der Medienhäuser. Für den Endverbraucher interessant daran wäre die Möglichkeit, auf die Artikel verschiedenen Ursprungs zurückzugreifen, aber nur einmal zentral zu zahlen und sich danach frei bewegen zu können. Dabei wäre die Ausformulierung eines konkreten Angebotes natürlich eine Herkules-Aufgabe – ganz zu schweigen davon, in welcher (Gesellschafts-)Form es sich realisieren ließe.
Zu klären wären endlose Detailfragen, wie zum Beispiel, inwiefern und ob der Nutzer auf das gesamte Angebot zurückgreifen kann, ob er oder sie ein monatliches Kontingent zur Verfügung hat, wie die Erlöse unter den Anbietern aufgesplittet werden, wie und ob der User und sein Leseverhalten getrackt werden und vor allem: wie der Preis gestaltet werden müsste, um die verschiedenen Bedürfnisse des Endverbrauchers zu bedienen. Schlussendlich ist der Preis immer noch das wichtigste Instrument hinsichtlich Strategie, Marketing und damit Erfolg. Sich zu einigen dürfte für die Verlage neben dergenerellen Bereitschaft eine größere Hürde als die technische sein.
Bei diesem Modell würde eine Art dezentrales Verlagsnetzwerk auf den verschiedenen Angebotsseiten entstehen, das nichts Gravierendes an den bestehenden Lesegewohnheiten des Internetnutzers ändern würde.
Eine andere Möglichkeit – eine, die ich selbst weitaus spannender finde – wäre eine Art Spotify für Journalismus. Eine zentrale Plattform – als App oder Seite –, auf der sich alle [sic!] Verlagsangebote tummeln. Auf dieser könnte sich der Nutzer sein eigenes Medien-Menu aus einzeln abonnierten Autoren, Zeitschriften, Ressorts und den Empfehlungen seiner Kontakte zusammen stellen: ein auf Geschmack zugeschnittenes Aggregat, tagtäglich aufs Neue. Selbst die Verlage müssten zum Beispiel durch In-Apps nicht auf ihr alther gedientes Branding verzichten und könnten den Leser weiterhin bei der Hand nehmen. Denkbar – und wünschenswert – wäre ebenfalls, dass so eine Plattform freien Autoren und Bloggern die Möglichkeit bieten würde, ihre Texte fernab jeglicher Verlagsbindung anzubieten. Produkt und Konsument kämen sich ein Stück näher.
Ein Spotify für Journalismus
Beide Modellskizzen – sie sind nicht der Weisheit letzter Schluss – haben Vor- und Nachteile, schließen sich aber per se nicht aus. Sie könnten sogar gut miteinander funktionieren, wenn man die Schranken – sowohl die technischen als auch die in den Köpfen – durch Schnittstellen ersetzt. Das heißt: Wir müssen miteinander reden, anstatt den einen “Walled Garden” gegen den nächsten zu tauschen.
All diese Anrisse sind freilich momentan noch vage Zukunftsmusik. Wie auch immer diese Melodie eines Tages ausformuliert wird, zwei Dinge scheinen heute schon gewiss: Dass vor allem die Nebenstimmen der kleinen Verlagshäuser verstummen und nur große, finanzkräftige Player wie zum Beispiel Springer überleben werden, wenn die Branche weiterhin gegen- statt miteinander arbeitet, und dass, wenn es die Verlage hierzulande nicht tun, es jemand anderes tun wird (und man dann kleinlaut nachzieht, statt es selbst angegangen zu sein).
Das Zeitfenster, in dem man ein solche Blaupause aktiv mitgestalten kann, dürfte kurz sein. Es würde nicht verwundern, wenn man in Kürze in den Gärten eines Global Players wandelt, während man die Zeitung der Zukunft liest – ePaper gibt es dort jetzt schon. Mit der Film-, Fernseh- und Musikindustrie stehen des Weiteren genug Beispiele Spalier, die sicherstellen, dass am Ende niemand sagen können wird, man wäre nicht gewarnt worden.
Über alledem schwebt jedoch das Damoklesschwert der Gewissheit, dass durch das Netz das Angebot auf dem Artikelmarkt größer geworden ist, die vorhandene Nachfrage – und damit das Budget – jedoch nicht. Das durchschnittlicheKuchenstück wird daher zwangsläufig kleiner. Das ist das wirkliche “Problem” des klassischen Journalismus – man kann es freilich auch als Demokratisierung der Produktionsmittel und Zerschlagung der Meinungsmonopole sehen. Das Resultat dieser volkswirtschaftlichen Binse sind sinkende Durchschnittserträge, im Großen wie im Kleinen.
Es ist dementsprechend nicht bloß eine Randnotiz, dass Autoren wie Verlage und journalistische Startups ihr Kerngeschäft vermehrt mit Nebentätigkeiten zu finanzieren versuchen. Mit Worten allein lässt sich in den seltensten Fällen genug Geld verdienen. Dieses Phänomen wird sich auch nicht mehr grundlegend ändern. Im Gegenteil. Die Zeiten, die der Branche bevorstehen, sind so stürmisch wie interessant. Kein Gadget, keine neue App und keine Idee wird in der Lage sein, die Zeit zurückzudrehen. Vielleicht aber gelingt irgendwann endlich der Schritt in die Zukunft.