Der Soziologe Niklas Luhmann hätte seine Freude daran gehabt zu beobachten, wie Kommunikation in Zeiten von Facebook, WhatsApp und iMessage funktioniert. Getrieben von den uns ständig über alles benachrichtigenden mobilen Diensten sind wir nicht viel mehr als Objekte. Notwendige Übel für die Autopoiesis der Kommunikation, die sich selbst erhaltend Ottonormalsurfer dazu zwingt, die Kanäle beständig und ohne Unterlass zu füttern. Sich heute vorzumachen, man kommuniziere (und nicht: es kommuniziert einen), fällt bei Betrachtung der jüngsten technischen Entwicklungen schwer. Die Frage, für wen wir schreiben, für uns oder das Netzwerk, also die Kommunikation an sich, dürfte zumindest für den reflektierten Anwender vermehrt zu den eigenen Ungunsten ausfallen.
Haben Facebooks Gefällt-mir-Button und 1-Click-Pendants der übrigen Netzwerke die Schwelle für Interaktion schon seit geraumer Zeit qualitativ und quantitativ auf niedrigstes Niveau herabgesenkt, gesellt sich zum Chor der niemals verstummenden Mitteilungszentren seit Kurzem eine vermeintlich unauffällige Funktion, die auf zweierlei Art für sozialen Stress bei den Partizipanten eines digitalen „Gesprächs“ führt: die Lesebestätigung. Während man bei Apples iOS den Nutzern noch die Möglichkeit gewährt, selbst zu entscheiden, ob man diese nutzt, ist sie bei zwei anderen Kommunikationsglobals – WhatsApp und Facebook – längst obligatorisch.
Auf den ersten Blick nützlich – wer möchte nicht sicherstellen, dass das Geschriebene auch beim Empfänger angekommen ist – entstehen in Wahrheit Fragen, denen sich die jeweilige Seite zwangsläufig stellen muss: „Er/Sie hat meine Nachricht gelesen – wann bekomme ich Antwort?“ Oder: „Er/Sie weiß, dass ich die Nachricht gelesen habe, sollte ich nicht zurückschreiben?“ Daraus ergibt sich ein durchaus gewollter Druck auf beide Seiten, dessen Zweck darin besteht, den Strom der Kommunikation nicht abreißen zu lassen: Autopoiesis – nur eben nicht die eigene.
Der Grund für den aggressiven Offenbarungseid der Kommunikationsunternehmen findet sich in den Grenzen des Marktes, auf dem sie operieren. Zwar vermeldete Facebook kürzlich, man habe die Schallmauer von einer Milliarde durchbrochen. Jedoch vermuten Analysten schon länger, dass die eigentlichen Wachstumspotenziale des Netzwerks längst nicht mehr in der Anhäufung von Usern, sondern in deren Bindung – oder weniger romantisch: Verweildauer und Klicktiefe – bestehen.
Um dieses Potenzial nutzen zu können, muss Facebook – als Makler der Kommunikation – den Willen der User peu à peu durch den eigenen – also indirekt den der Kommunikation – ersetzen, um das lebensnotwendige Grundrauschen zu garantieren. Die Zeit des Buhlens um neue Nutzer scheint vorbei.
Was man hier beobachten kann, ist nichts Neues – schon gar nicht für Jünger von Luhmanns Systemtheorie. Es zeigt sich aber an dieser Entwicklung, dass ein soziales Netzwerk gerade nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikation besteht. Der vermeintliche Akteur, als der sich der Mensch selbst wahrnimmt, ist ein Rädchen in der Maschine. (Letzteres verwechselt der Boulevard zu gerne mit Internetsucht.)
Was bleibt, ist sich dieser (vermeintlich) neuerlichen Sinnentleerung des eigenen Tuns bewusst zu sein. Und, wenn sich das Smartphone zur Benachrichtigung bereit vibrierend an den Leib schmiegt, mantraartig Camus’ Wahlspruch zu wiederholen: Wir müssen uns "SissiVoss" als einen glücklichen Menschen vorstellen.