„Ich bin ja nicht #Kaltland, aber man wird doch wohl noch #Heidenau“. So oder ähnlich lautet derzeit ein massenhaft gebräuchliches Argumentationsmuster in deutschen Online-Kommentarspalten. Spätestens seit diese krude Logik immer häufiger in blankem Hass, dem, was inzwischen gemeinhin als „Hate Speech“ bekannt ist, und unverblümten Aufrufen zur Gewalt gipfelte, fühlte sich auch Justizminister Heiko Maas bemüßigt, bei dem in Deutschland beliebtesten sozialen Netzwerk Facebook vorstellig zu werden, um vehement ein härteres Vorgehen gegen rechte Hetze und Naziparolen einzufordern.
Das Netzwerk selbst reagierte auf den Wunsch nach mehr Moderation und Löschung fragwürdiger Inhalte zunächst verhalten. Auch bei einem späteren Treffen konnte man sich lediglich verbindlich darauf einigen, stärker mit der Freiwilligen Selbstkontrolle zu kooperieren und eine Art Taskforce ins Leben zu rufen, die sich mittelfristig mit dem Phänomen befassen soll. Facebook argumentierte, dass das wirksamste Mittel nicht das Löschen solcher Einträge, sondern „Counter Speech“, also aktive Gegenrede, sei. Des Weiteren stehe man mit dem Problem nicht alleine da. Auch bei YouTube, Twitter und Co tobe der braune Mob.
Das ist sicher richtig. Denn rechtes Gedankengut ist keine Ausnahmeerscheinung, wie uns Politiker gerne glauben machen wollen, wenn sie vom „Pack“ oder vereinzelten Spinnern reden. Im Gegenteil, man könnte tatsächlich meinen, der braune Stammtisch hätte längst wieder in der Mitte der Gesellschaft Platz genommen. Und ein Blick ins Netz genügt, um zu erahnen, dass diese These traurige Wahrheit sein könnte.
Dort wüten die, die sich missverstanden, ungewollt und zurückgelassen fühlen: die besorgten Bürger, Pegida und selbst titulierten Asylkritiker. Sie sind laut, sie sind verbittert und bilden den Nährboden für eine Stimmung, die jene bestätigt, die dazu beitragen, dass man inzwischen fast täglich in den Nachrichten von brennenden Flüchtlingsheimen hören muss. Wer will das schon?
Doch Abschalten hilft nicht. Wer sich für sein Land bessere Presse wünscht, muss genau hinschauen und darf das Symptom nicht mit der Ursache verwechseln. Der Hass kommt nicht aus dem Netz, er kommt aus der Gesellschaft. Im Bezug auf diese wurde in den letzten Jahrzehnten viel versäumt. Wer, um dem entgegen zu wirken, seine Bürger nun aufklären will, muss endlich anfangen, sich um sie zu kümmern. Das jedoch ist lange, harte Arbeit, das ist Gegenhalten, das ist Engagement, das ist eine sozialere Politik, und das ist vor allem Haltung. Und gerade eben kein medienwirksamer Schnellschuss, der wie so oft den Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie gehorcht.
So ist es wenig hilfreich, wenn ein Stellvertreter der Bundesregierung ausgerechnet jetzt auch nur den leisesten Anschein erweckt, er würde jedwede Verantwortung für den Zustand der eigenen Bevölkerung von sich weisen und einem privaten Unternehmen wie Facebook den schwarzen Peter zuschieben wollen. Dass auch letzteres mit seinem Vorgehen bis dato keine gute Figur macht: geschenkt. Denn natürlich passt es nicht zusammen, dass Facebook offenkundig kein Problem mit Hate Speech hat, aber ein übereifriger Sittenwächter ist, sobald es um nackte Haut geht.
Was unterdessen strafrechtlich relevant ist, sollte Aufgabe des Staates bleiben. Statt mit dem Netz zu fremdeln und das Feld achtlos Hasspredigern oder dem freien (Meinungs-)Markt zu überlassen, sollte man sich endlich zu einer stringenten und engagierten (Netz-)Politik durchringen. Das heißt gerade eben nicht, dass man nicht auch Unternehmen in die Pflicht nehmen darf, doch sollte man sich ebenso davor hüten, gesellschaftliche Probleme ausblenden oder privatisieren zu wollen. Dann klappt es auch mit dem Bürger.
Eine Version dieses Textes erschien in Ausgabe 38/15 des Freitag