#WeAreTwitter: Eine Petition schlägt vor, das soziale Netzwerk von seinen Nutzern übernehmen zu lassen. Doch diese sollten sich erstmal fragen, welches Twitter sie überhaupt wollen
Schon oft war der bei seinen Nutzern populäre, aber finanziell stetig kriselnde Mikroblogging-Dienst Twitter das Objekt der Begierde potenzieller Übernahmen. Glaubt man jüngsten Spekulationen, könnte es nun aber bald ans Eingemachte gehen. Auf der Liste vermeintlicher Interessenten standen bereits die Branchenriesen Apple, Facebook, Google oder Microsoft, aber auch Medienunternehmen wie Fox und Disney. Laut Presseberichten haben zudem auch einige Finanzhaie die Witterung aufgenommen. Nur zugebissen hat noch keiner.
Vor kurzem hatte Guardian-Autor Nathan Schneider deshalb die Idee, dass die Nutzer das Unternehmen einfach selbst kaufen sollten. Man könnte es, so der Vorschlag der Petition #WeAreTwitter, in eine Kooperative, eine Art genossenschaftliches Großprojekt umwandeln, um es den Fängen der Wall Street zu entreißen. In Schneiders Augen würde Twitter so gewissermaßen zu einer eierlegenden Wollmilchsau. Einerseits wäre man den finanziellen Wachstumsdruck los, andererseits könnte der Kurznachrichtendienst gerade dadurch so werden, wie viele Nutzer es sich schon immer wünschten: mehr Unabhängigkeit, keine Werbung, mehr Moderation, weniger Hatespeech. Traumhaft.
Doch diese Idee hat einen stolzen Preis. Die Strategie, die die Kalifornier 2007 wählten, baut nämlich auf der Annahme auf, dass man sich aus den roten Zahlen wächst. Facebook, mit dem man sich einst auf Augenhöhe wähnte, hat es schließlich vorgemacht. Jedoch verzeichnet Twitter im Gegensatz zu Facebook nach wie vor jährliche Verluste von knapp einer halben Milliarde Dollar. Und auch die Aussichten auf Besserung waren schon mal rosiger. Allein diese Summe müsste man also für ein schlichtes „Weiter so“ berappen – pro Jahr, Werbung und Hatespeech inklusive.
Um Twitter aber in den Hort der Glückseligkeit zu verwandeln, den man sich von dieser freundlichen Übernahme verspricht, wäre mehr Personal bei sinkenden Einnahmen nötig. Denn falls gelänge, was noch nie erfolgreich versucht wurde – ein Unternehmen dieser Größe in eine Genossenschaft umzuwandeln –, darf man daran zweifeln, dass die Kooperative zuallererst den Rotstift ansetzen, Stellen streichen und Kosten reduzieren würde. Für die unschönen Dinge des Arbeitgebertums sind die Petenten nicht angetreten.
Leicht wird zudem vergessen, dass Twitter längst nicht mehr das Twitter ist, das es vermeintlich war, kurz nachdem es 2006 gegründet wurde: das etwas andere Social Network, smarter, witziger und weniger kommerziell als Facebook. Vielleicht traf dieses Narrativ sogar einmal zu, auf jeden Fall aber wird Twitter noch immer dazu verklärt. Heute ist das Unternehmen jedoch in erster Linie ein Internet-Start-up-gone-Großprojekt par excellence, voller Advertorials, Marketing und Hass. Eines, das sich an der Börse mit den Großen messen wollte und daran gescheitert ist. Und trotzdem – oder gerade deshalb? – lieben wir es. Twitters Architektur und seine mit Verlusten erkaufte Größe ködern Nutzer mit dem klassischen Tellerwäscher-Versprechen. Jeder kann mitmachen, jeder kann – so er denn pfiffig genug ist – viral gehen und so zu seiner eigenen Medienmarke werden. Auch davon träumen einige.
Wir müssen uns nur fragen, welches Twitter wir wollen: eines, das versucht, im Chor der großen Netzwerke mitzusingen? Oder eines, das sich der Logik des Marktes entzieht? Beides geht nicht, es gibt keinen richtigen Kapitalismus im falschen. Vielleicht ist Twitter also bei den Haien gut aufgehoben. Wer trotzdem sein globales Dorf will, sollte ein neues gründen. Vermutlich wären die Erfolgschancen dann eh größer als bei #WeAreTwitter. Bis dato haben nur knapp 1.400 (Stand 26. Oktober 2016) der 300 Millionen aktiven Nutzer die Petition gezeichnet.
Dieser Text erschien im Freitag 43/2016