Vor wenigen Tagen entließ Google sein neues soziales Netzwerk Plus in die öffentliche Testphase. Nach Orkut, Wave und Buzz war das bereits der vierte Versuch, sich in diesem Bereich durch- und festzusetzen. Unter den Early Adoptern in dieser digitalen Kinderstube – derzeit zählt man rund 250.000 User – grassierte bereits nach wenigen Stunden gesetzte Euphorie, die nur von wenigen kritischen Stimmen getrübt wurde.
Das hat gute Gründe: Der Neuankömmling ist schlank, übersichtlich, wirkt durchdacht und technisch ausgereift. Und er macht Lust auf mehr. Im letzten Punkt unterscheidet sich Google Plus grundlegend von seinen Vorgängern, deren Halbwertszeit beim weniger versierten Publikum selten mehr als ein paar Klicks überdauerte. Warum auch?
Schließlich gibt es mit Facebook und Twitter zwei Netzwerke, die das Bedürfnis nach sozialer Interaktion längst stillen und sich allein durch ihre Größe unverzichtbar machen. Bei all ihren Macken – Facebooks Privatsphärenfiasko oder der Failwhale; Twitters visueller Platzhalter bei Überlastung der Seite, der es im Netz zu trauriger Berühmtheit brachte – käme ein Ausstieg doch dem Verlust des geliebten Adressbuches gleich. Selbst für Pessimisten ist daher der Anreiz zu wechseln klein. Die Vorteile überwiegen die Nachteile. Noch.
Vom Potenzial her aber könnte Google Plus diesen Status Quo beenden und die Unantastbarkeit des sozialen Duopols brechen. Denn der „Datenkrake“ scheint aus den Fehlern der anderen gelernt zu haben. Mit der Etablierung prominenter „Kreise“, in die man seine Kontakte einordnet, kann man nicht nur den Grad der Diversifikation im eigenen Nutzungsverhalten erhöhen, man umschifft auch geschickt Probleme, die sich aus dem Schutz der Privatsphäre ergeben. Während man berufliche Informationen mit den Kollegen austauscht, regelt man die Abendplanung zur gleichen Zeit in einem anderen „Circle“.
Das unilaterale Verhältnis der Nutzer erinnert dabei stark an Twitter. Es bricht mit der Eindimensionalität der Facebook’schen Freund-Freund-Beziehung. Arm in Arm mit den „Circles“ kann man so nicht nur entscheiden, was man mit wem teilt, sondern auch, wo man mitliest. Auf den aufwändigen Prozess des gegenseitigen Befreundens wird dabei verzichtet.
Am Ende ist es vielleicht Googles Meisterstück: eine Antwort auf den Widerspruch zwischen größerer Offenheit und leichterer Kontrolle des eigenen Tabubezirks, sprich der Privatsphäre. Des Weiteren wird Google in den kommenden Wochen und Monaten versuchen, alle Nutzer seiner übrigen Produkte, allen voran Google Mail, als neue Netzwerker zu aktivieren. Sollte dies ebenso gelingen wie die nahtlose Integration des "sozialen Layers" in das Portfolio des „Netzgiganten“, könnten die bis dato vermeintlich in Stein gemeißelten Grundregeln des Marktes erschüttert werden.
Eine Erfolgsprognose kann trotz allem vom jetzigen Standpunkt aus nicht mehr sein als ein Schuss ins Blaue. Es zeichnet sich jedoch ab, dass man es mit einem Game Changer zu tun hat, der vor allem Mark Zuckerberg Kopfschmerzen bereiten dürfte. Denn während Facebook sein soziales Netzwerk mehr und mehr mit Tools ausstatten will, wirft Google seinen bestehenden Tools ein soziales Netzwerk über. Man zäumt das Pferd von der anderen Seite auf. Das Ziel aber bleibt in beiden Fällen das gleiche: ein perfekt in den Online-Alltag integriertes Rundum-Sorglos-Paket. Auf die Frage, wie das zu erreichen sei, hat Google mit Plus eine zeitgemäße Antwort gefunden. Nun gilt es wiederum für Facebook Co. zu kontern.