Scheiße ist Zeitgeist, das Wort Shitstorm in aller Munde, sein Gebrauch inflationär. In den seltensten Fällen laufen diese jedoch in den gleichen Bahnen ab. Da wären unter anderem die klassischen unidirektionalen (das schafft z.B. die BVG regelmäßig) oder eben solche, bei denen man sich nicht sicher sein kann, ob sie nicht eine Runde durchs Wirthaus drehen und man sich schlussendlich doch noch im Auge des Lokus wieder findet.
Bei etlichen Aufregern kann man sich also schnell einigen, wer warum und freilich völlig zu Recht im braunen Regen steht. Bei anderen wiederum ist die Sache etwas komplizierter, die Erregungsmasse heterogener, so dass letztlich eine Art überdimensionales, rhizomorphes Scheiße-Ping-Pong entsteht. Am Ende sind alle eingesuhlt und stinken. Motor dafür können zwar gute Argumente sein, häufiger sind es jedoch weniger gute Absichten.
Man muss kein ausgewiesener Scheißhausmeteorologe sein, um die Themen zu identifizieren, bei denen die Schwalben besonders tief fliegen. Momentan sind das im hiesigen Netz vor allem Rassismus, die Ukraine und immer wieder Gender. Wie auch immer man sich hierzu positioniert, die Gummistiefel parat zu haben ist in jedem Fall keine gänzlich falsche Idee.
Dabei kann der Anlass vermeintlich noch so unzweideutig sein. Sexistischen Scheiß am Weltfrauentag posten zum Beispiel. Geht nicht klar, sollte man meinen, liegt ja auf der Hand. Die Schlechtwetterfront muss man ertragen können. Was gibt es daran noch zu deuteln? Manche werden leider erwidern: einiges. Und ab hier nimmt das Unheil seinen Lauf, der Shitstorm eine Wendung. Denn so wie es Rassisten, Nato- und Putinversteher gibt, sind da auch Menschen, die auf ihre tägliche Dosis pointierten Sexismus bestehen und für diese bis auf ihre cold dead hands kämpfen würden. Die Freiheit des Herrenwitzes wird nicht nur am Stammtisch, sondern auch in der Netzöffentlichkeit verteidigt. Oder so ähnlich.
Das kann man schon bringen, aber dann ist es halt für nicht wenige Scheiße. Mit letzterer wiederum wird auf der Gegenseite großzügig umgegangen, um dem eigenen Standpunkt – naja, sagen wir mal unmissverständlich – Nachdruck zu verleihen. Die fragwürdigen Mittel sind dabei häufig die gleichen wie bei anderen “umstrittenen” Themen. Man pickt sich exemplarisch ein paar Widersacher heraus – n=3 ist dabei ausreichend repräsentativ –, diskreditiert diese, addiert ein paar leicht verdauliche Nebelkerzen und rechnet im Anschluss wieder nonchalant aufs große Ganze hoch. Eine weit verbreitete, leider defizitäre Aufmerksamkeitsspanne tut ihr übriges. Applaus klatschen zum Beispiel.
Die hohe Kunst der digitalen Inkontinenz besteht darin, die weniger guten Interessen (hier: Sexismus) so zur Entfaltung zu bringen, dass sie wie der Kampf für die ganz, ganz, ganz großen Werte (hier: Meinungsfreiheit) erscheinen. Spätestens dann sind nämlich alle Mittel recht. Denn wenn Sexismus Meinungsfreiheit ist, muss im Umkehrschluss der, der Sexismus nicht so optimal findet, der Feind eines guten Demokraten sein. Jede aufgeklärte Frau wird so zur potenziellen Schläferzelle, in der Lage, die Welt, wie wir sie kennen, in ihren Grundfesten zu erschüttern. Darunter geht es nicht.
Sobald sich dann auch noch eine erklärte – Achtung, Reizwort – Feministin öffentlich erregt, ist des Weiteren klar, dass der tobende Mob maximal fremdgesteuert ist. Big Sister is watching you. Im Zweifelsfall flüstert sie dir bereits ins Ohr, was du zu denken hast, allzeit bereit zur feindliche Übernahme, wenn ihr nicht eh längst die Welt gehört (Hint: unwahrscheinlich). Hiergegen muss freilich etwas getan werden. Da fällt auch nicht weiter ins Gewicht, dass sich der ideologisch völlig unverdächtige Otto Normalbürger an Fotos stören könnte, auf denen Frauen umgetreten werden. Ganz einfach aus Mitgefühl, Sensibilität oder sowas. Argumentativ drückt man halt gern mal ein Auge zu.
Wer Sexismus sagt, muss also auch von Feminismus sprechen. Feministinnen sind der biologische Erzfeind des Mannes, der deutschen Sprache und nicht zuhinterst des gepflegten Herrenwitzes. Über letztere könnten sie gerüchteweise dennoch schon einmal gelacht haben. Was – denkt man es einmal in dieser Logik und unter der Prämisse der Sippenhaft konsequent zu Ende – im Grunde dem gesamten Feminismus die Legitimation entzieht, mindestens aber die Debatte um Sexismus als bigott und von Doppelmoral durchsetzt entlarvt. Wer A sagt, muss auch A sagen, immer wieder und frei jedweden Kontextes. Sonst wird das – zumindest phonetisch – nichts mit dem Shitstorm. Spätestens dieses Argument sollte auch dem letzten Verschwörungsideologen einleuchten.
Der Sexist wird so von hinten durch die Brust ins Auge zum Märtyrer, zum Opfer, der seinen guten Ruf im Dienste der Sache ehrenhaft dahin gab, und das obwohl: “das wird man doch noch sagen dürfen”. Ihn als das zu bezeichnen, was er ist, sei die wahre Schandtat, das unerträgliche Besudeln einer frisch geborenen Ikone der Freiheit. Im Gegenzug werden wie selbstverständlich vermeintlich humorlose Feministinnen als hysterische Täterinnen stigmatisiert, unter falscher Flagge durch den Dreck gezogen und oberlehrerhaft gemaßregelt. Sie haben es nicht anders verdient, denn: “das hätten sie jetzt nicht sagen dürfen”.
Sauber weg kommt dabei freilich niemand, allein die Fronten sind “geklärt”. Dafür, dass man aber von einem klärenden Gewitter hätte sprechen können, wäre hüben wie drüben ein differenzierter Blick von Nöten gewesen. Weniger Absichten, mehr Argumente. So allerdings wird man auch in Zukunft wieder in der Scheiße sitzen dürfen und über selbige schreiben. Hach, ja.