re:publica: Warum ich lieber angele, statt auf die größte deutsche Internetkonferenz zu gehen – und deren Hof trotzdem vermisse
„Geht leider nicht, ich bin auf einem Boot“, ist eine Aussage, die ich vergangene Woche überraschend selten treffen musste. Einmal, um genau zu sein. Da fragte mich ein alter Freund, ob wir uns zum alljährlichen Plausch über die sozioökonomischen Auswirkungen von Mark Zuckerbergs neuester „technischer Lösung“, die Volatilität der Auftragslage im digitalen Prekariat und den besorgniserregenden Zustand der Bundesliga im Hof der re:publica treffen wollen. Charmant wäre das schon gewesen – man ist ja gerade heutzutage dankbar für ein gutes Zwiegespräch –, aber da lag zu viel Havel zwischen Deutschlands größter Internetkonferenz und mir.
Dass ich ihr ein fließendes Gewässer vorzog, mag einerseits damit zu tun haben, dass man mit steigendem Alter den kontemplativen Charakter einer Angelpartie zu schätzen beginnt. Work-Life-Balance ist ja ein reales Ding in der digitalen Gesellschaft. Andererseits liegt es auch daran, dass der Reiz, den die Messe auf mich ausübte, lange schon zu schwinden begann – und dieses Jahr wohl endgültig das kritische Level unterschritt. So reichte es dann nicht mehr für zwei, drei kühle Getränke und ein Wiedersehen mit ein paar bekannten Gesichtern.
Für Letztere war ich immer gerne da. Sie waren es, die für mich die re:publica ausmachten. Ich bin zwar nicht romantisch genug, um vom oftmals beschworenen „Klassentreffen des deutschen Internets“ zu fabulieren. Aber durchaus so reflektiert, zu wissen, dass es vor allem die Leute waren, die man fernab der Panels traf, wegen derer man wiederkam.
Während ich vor ein paar Jahren zumindest noch aus Anstand an ein paar Veranstaltungen teilnahm, fremdelte ich zuletzt zunehmend mit dem offiziellen Angebot der Konferenz. Ich blieb ihm schlicht fern. Mal lag es daran, dass es nichts wirklich Neues zu erfahren gab. Mal waren die Vorträge einfach schlecht. Mal waren es Werbeshows für zahlungskräftige Unternehmen. Mal durften vermeintlich netzaffine Politiker ihr gefährliches Halbwissen unter die Leute bringen.
Festival mit Werbeblocker
Doch wenn man sich ärgerte, gab es immer noch den Hof, diese Insel der Glückseligkeit, auf der man sich mit Gleichgesinnten über und über das Vorgetragene hinaus austauschen konnte. Selbst dort blühte einem allerdings mehr und mehr, für wen die re:publica unterdessen gemacht wurde: Anbieter und Kunden. Dort, wo „der Anzugträger“ früher das unbekannte Wesen zwischen Bloggern, Nerds und anderen Bedenkenträgern war, gehört er jetzt zum festen Repertoire, allzeit bereit, seine Marke, seine Idee, sein Ich im Business-to-Business oder Business-to-Customer-Gespräch feilzubieten. Er muss heute schon maximal-uniformiert auftreten, um nicht willkommen zu sein.
Der Hof des Anzugträgers ist die „Exhibition Area“, der zentrale Teil der Messe, der Partnern und deren Unternehmenspräsentation vorbehalten ist. Diese wuchert unterdessen in alle Richtungen – auf die Bühnen, in den „echten“ Hof – und macht die re:publica zu dem, was sie heute ist: dem „inspirierendsten Festival für die Digitale Gesellschaft“. Nicht. Aber wohl zu einem, das sich finanziell lohnen dürfte.
Das ist auch in Ordnung, die re:publica hat ihre Schuldigkeit längst getan. Schön war’s. Nur bleibt da eben eine Lücke: für ein Festival mit Werbeblocker. Für die Leute vom Hof, die sich unbehelligt über dieses Internet unterhalten wollen. Und die darin mehr sehen als einen Job, eine gute Geschäftsgelegenheit oder etwas, das sie verkaufen können. Aber das lässt sich leicht sagen, wenn man auf einem Boot sitzt.
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Disclosure
Die Vorträge der re:publica lassen sich auf YouTube nachschauen. Einige sind natürlich nach wie vor interessant
Dieser Beitrag erschien in Ausgabe 19/2018 des Freitag