Ich sitze in meiner Küche. Ein paar Freunde sind auch da. Wir trinken Wein, reden über die üblichen Dinge. Frauen, Männer, Kinder, den Euphemismus 40-Stunden-Woche, Videobeweis im Fußball, Vorsätze fürs Pulplife (Reduce to the max!), 3 Zeug im Netz, die Unmöglichkeit ironischen Musikkonsums und diesen einen interessanten Artikel, den wir alle letzte Woche gelesen haben. Dazu haben wir etwas zu sagen. Dann reden wir über Politik.
Schlimm ist das mit der AfD, wie die Rechtspopulisten das Land letztes Jahr vor sich her getrieben haben. Da hat kaum jemand eine gute Figur abgegeben. Merkel ging ja noch – Mutti ist die beste, bla bla! Aber hintenrum ist die Union so schwarz wie eh und je. De Maizière, Seehofer, Schäuble? Zündeln bis die Hütte brennt. Ist euch schon mal aufgefallen, wie ähnlich sich Macron und Lindner sehen? Nicht nur äußerlich! Und die Linke unter Wagenknecht? Flirten mit dem rechten Rand: gruselig! Wann machen die Grünen endlich mit ökologisch nachhaltiger Gentrifizierung Wahlkampf? Mit Cem und Katrin Soja-Latte schlürfen und Fähnchen schwenken vor der Bio Company. Ehrlichkeit ist Trumpf! Der Schulz-Zug? Irgendwo kurz hinter Paderborn stecken geblieben. Auf die Bahn ist halt kein Verlass, hätte man sich vorher denken können. Beides rot.
Aber man ist ja kompromissbereit. Der liebe Alkohol! Also: R2G. Schließlich braucht das Land, ach Quatsch, Europa braucht ein sozialeres Deutschland. Denkt mal an die Griechen. Oder die Spanier. Wirklich schlimm das mit der Jugendarbeitslosigkeit. Länderfinanzausgleich klappt doch hier auch ganz gut. Außerdem: Grexit, Öxit, Brexit, Frexit – Hört ihr die Signale? Ist wirklich an der Zeit, dass Berlin mal aus dem Knick kommt. Noch mehr Groko und wir werden unseren Kindern erklären müssen, wer oder was Erasmus war. Das wird dann auch eins dieser Narrative, von denen momentan alle faseln.
Ja, aber. Hat der Schulz nicht letztens irgendwo erzählt, dass sein feuchter Traum eine Koalition mit der CDU unter seiner Führung wäre? Der Mann hat Fantasie, muss man ihm lassen. Andersrum ist zur Not sicher auch ok. Von wegen als deutscher Außenminister endlich Europapolitik machen und (!) was zu sagen haben. Und die Grünen? Mögen es seit Kretsche eh am liebsten, wo es heimelig ist. Politik fürs Deutschländle geht eben doch am besten mit Angela und ihrem schwäbischen Hausmann. Hat unterdessen eigentlich irgendwer die Linke, diese besserwisserische Streberin mit Rechts-Links-Schwäche, aus ihrer Schmollecke geholt? Nein? Ok.
Aber die wählt man ja eh nicht. Haben wahlweise die SPD gespalten oder die SED beerbt – und predigen ein altbackenes Verständnis der Arbeiterklasse, für das sich selbst der junge Karl Marx schämen würde. Freiheitsrechte, Europa und Migranten für lästiges Beiwerk zu halten ist innerhalb des S-Bahnrings auch eher nicht so en vogue. Naja. Mehr Fahrradwege sind da schon besser, aber ein schwarz-grünes Damoklesschwert ohne Helmpflicht schwer vermittelbar. Wo wir schon mal bei „schwer vermittelbar“ sind: Erinnert sich noch jemand daran, wer uns Hartz IV eingebrockt hat? Von wegen sozial. Die SPD kann auch ohne CDU anders.
Also, entweder Rot-Rot-Grün bietet jetzt mal wirklich an und meint es ernst – oder es macht jemand anderes. Ist schließlich wie in der Wirtschaft, Angebot und Nachfrage. Sieht man ja anderswo: Syriza, Podemos und so. Die Einschläge kommen näher. Wobei, da fehlt in Deutschland vielleicht der Leidensdruck. Uns geht's ja gut. Noch! Sagt der Varoufakis auch: Single Market, selbes Boot. Da hilft auch kein Rückzug aufs Nationale. Nein, auch nicht den Abgehängten. Die fetten Jahre sind vorbei, für den Opelaner wie das kreative Prekariat. Schwelgen in vergangenen Zeiten kann zwar schön sein, aber „Zur Sonne, zur Freiheit“ ist nicht nur im Urlaub ohne Europa nicht mehr drin. Also vorwärts.
Denn im Grunde ist das ja eh alles alternativlos. Nur gibt es keine. Da, wo unsere Zukunft verhandelt werden soll, klafft eine riesige linke Leerstelle. Zum Schämen. Opportunismus, Karrierismus, Lobbyismus, ... Zwischen all den Ismen bleibt nicht viel Raum für große Ideen, geschweige denn für deren Umsetzung. Und die Konservativen lachen sich kaputt, wenn sie bei der Wahl zwischen Pest und Cholera mal wieder als das geringere Übel durchgehen – und sich in einer schwarz-weißen Medienwelt als die Guten gerieren können. Hi, Emmanuel. Wenn man nicht schon drei Jobs hätte, man müsste ja selbst was gründen. Eine Bewegung, eine Partei. Rausgehen, die Leute abholen. So Leute wie uns, diese links-grün-versifften Gutmenschen, urbane Links-Liberale eben. Macht ja offensichtlich sonst keiner. Ist auch eh zu spät. Das Wahljahr wartet schließlich nicht.
Und wen wählt man jetzt? Es ist still in meiner Küche, die Gäste weg und die Gläser halb leer.