Frei heraus: Der Hobbit nervt. Seinem Regisseur Peter Jackson gelang das vermeintliche Kunststück, ein knapp 300 Seiten starkes Kinderbuch bis zur Unkenntlichkeit aufzublasen und daraus eine Trilogie von epischer Länge – insgesamt neun Stunden – zu machen, die zu ertragen man mehr Popcorn braucht, als der von 3D-Effekten geplagte Magen nur ansatzweise vertragen könnte. On top gibt es noch eine Ménage-à-trois aus Orlando Bloom, der einen aus Lost – Freckles! – und einem Zwerg. Muss das sein?
Es gibt Menschen, die diese Frage verneinen. Und es gibt solche, die es nicht dabei belassen. Anfang des Jahres veröffentlichte ein unbekannter Cutter unter dem Alias Tolkieneditor eine Version des Hobbit im Netz, die alle drei Jackson-Teile in einem nur knapp vier Stunden dauernden Film vereint. Dabei legte er wert darauf, das existierende Filmmaterial so zu nutzen, dass das Ergebnis J.R.R. Tolkiens Original so nah wie möglich käme.
Bis auf ein paar verzeihbare Anschlussfehler, die nicht weiter ins Gewicht fallen, ist dem selbsternannten Tolkieneditor ein durchaus beeindruckendes Werk gelungen, das im Gegensatz zu Jacksons Version mit größerer Dichte, einer schlüssigeren Handlung und weniger Disneyland aufwartet. Puristen und Cineasten dürften ihre Freude daran haben.
Der Tolkieneditor ist nicht der erste Schnittmeister, der sich ungefragt an Hollywoods Erzeugnissen vergreift. Sogenannten Fan edits haben im Netz inzwischen Tradition. Für eine breitere Öffentlichkeit wurden sie das erste Mal im Jahr 2000 wahrnehmbar, als zunächst auf VHS, dann im Internet mit dem Phantom Edit eine Version von Star Wars Episode 1 auftauchte, die ebenfalls versuchte, das Original zu entschlacken und ihm den gebührenden Ernst zu verleihen. Lange hielt sich das Gerücht, das Kevin Smith, Regisseur von Clerks und später von Stirb langsam 4, für das Bootleg verantwortlich war; tatsächlich stammte die Version von dem professionellen Cutter Mike J. Nichols.
Dass konsumerable Edits zunächst von Profis angefertigt wurden, änderte sich mit der Verbreitung von High Speed Internet und illegalen Tauschbörsen. Plötzlich war jedermann in der Lage, sich riesige Datenmengen und damit Downloads in Bluray-Qualität zu besorgen, diese mithilfe – ebenso zugänglicher – professioneller Schnittsoftware zu bearbeiten und wieder ins Netz zu stellen.
So entwickelte sich eine wachsende Szene rund um Seiten wie fanedit.org, die sich nicht mehr nur damit begnügte, Filme zu zerstückeln und umzuschneiden. Geeks begannen, Korrekturen vorzunehmen und den Streifen ein verändertes look and feel zu verpassen. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Despecialized Edition der Star Wars-Episoden 4 bis 6, die sich erfolgreich bemüht, den Klassikern von vor über 30 Jahren den reduziert-nostalgischen Charme alter VHS-Kassetten in Bluray-Qualität wiederzugeben.
Die Produktionsfirmen sind derweil nicht immer einverstanden mit den Bootlegs, die zumeist frei verfügbar im Netz kursieren. So musste der vielleicht berühmteste, öffentlich bekannte Fan Editor, Regisseur Steven Soderbergh (Sex, Lügen und Video, Ocean’s Eleven), seine von Kritikern durchaus geschätzten Versionen von Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum und Spielbergs Indiana Jones: Jäger des verlorenen Schatzes wieder von seiner Webseite entfernen.
Es ist nach wie vor umstritten ist, inwiefern das amerikanische Prinzip des fair use, das nicht autorisierte Nutzungen von geschütztem Material unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, auf die Hobby-Cuts zutrifft. Fanedit.org verzichtet deshalb auf das Listen von Versionen, die offensichtlich auf raubkopierten Inhalten basieren. Das führt dazu, dass die populärsten Edits im Heimathafen der Freizeit-Cineasten gar nicht erst anlanden. Diese Edits wiederum werden zumeist von Cuttern angefertigt, die auffällig viel Wert auf Anonymität legen (müssen).
Aus kreativer Sicht wäre es falsch, die aufkeimende Szene auf ihr Schattendasein zu reduzieren. Neben viel Ausschuss finden sich Raritäten, die mit so viel Hingabe fabriziert wurden, dass sich kommerzielle Filmemacher daran ein Beispiel nehmen könnten – Idealismus und ein Schuss Romantik hätten der ein oder anderen Produktion bei der Erstherstellung nicht schaden können. Im Zweifelsfall ist das aber nicht von Belang, denn: Was nicht passt, wird passend gemacht.
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Eine Version dieses Textes erschien in Ausgabe 11/15 des Freitag.