Als ich vor 10 Jahren anfing, für den Freitag zu arbeiten, köderte man mich mit dem Versprechen, an einem interessanten Online-Projekt mitzuarbeiten: Nichts Geringeres als „die größte Redaktion Deutschlands“wollte man schaffen, mit den Lesern auf Augenhöhe sein – ein Angebot, das ich nicht ausschlagen konnte! Wie viele andere Medien hatte auch der Freitag das Web 2.0, das Social Net, für sich entdeckt und wollte jetzt einen Teil des Kuchens für sich. Dafür brauchte man Leute wie mich, qualifiziert durch nicht viel mehr als ein eigenes Blog und einen Twitter-Account.
Netzwerke wie Facebook und Twitter führten in diesen Tagen fort, was mit Myspace – oder in Deutschland intro.de und jetzt.de, auch bei der Zeit konnte man bloggen – angefangen hatte. Statt das Netz nur mit statischen Webseiten zuzukleistern, fing man an, zwischen den Nutzern digitale Autobahnen zu bauen, die diese Nutzer miteinander verknüpften, die Austausch möglich machten und das Wort „viral“ positiv konnotierten: Es war das große digitale Versprechen, dass eine pfiffige Idee auch den letzten Winkel des Internets erreichen könnte, wenn sie nur die neuen Einwohner der sozialen Medien überzeugte. Und auf diesen Autobahnen quer durch Neuland war der Freitag flott unterwegs: Wir setzten auf „Usergenerated Content“, also darauf, dass auch Leser Beiträge schreiben können, und dass die besten Beiträge in die Zeitung aufgenommen werden.
Und wenn die Beiträge geschrieben waren, fingen sie an zu leben: laut und voll soll es unter ihnen werden – egal ob es sich um Texte aus der Redaktion oder aus der „Community“ handelte. Und so kam es dann auch. Es wurde debattiert, diskutiert und auch schon mal getrollt, dass es oft eine Freude und immer viel Arbeit war: Während Jakob Augstein seine Redakteure dazu anhielt, sich mit den Lesern auszutauschen, was manche mehr und andere weniger intensiv taten, sprach Sascha Lobo von einer „Zwangsverbloggung“der Nutzer. Die einen wollten nicht in die Feedbackschleife, die anderen ihre Texte nicht verschenken. Damit war der Grundstein für einen Dauerkonflikt gelegt.
Viel wurde ausprobiert, um das Rauschen auf der Webseite aufrechtzuerhalten. Eine „Wahlkampfarena“ wurde geschaffen, in der die pointiertesten Meinungen zu politischen Themen im Abstimmungsverfahren miteinander wetteiferten, Bücher wurden mit und von der Community gelesen, Videos in der Poststelle gedreht. Und am Ende des Tages zählten wir Kommentare. Wessen Beitrag die meisten abbekam, durfte sich in den Konferenzen für sein Engagement rühmen. Und auch die Community selbst wetteiferte um den Platz an der Sonne in der Liste der „Meistkommentierten Beiträge“. Schon damals wurde mit harten Bandagen gekämpft. Alles, was Anschlusskommunikation provozierte, war erlaubt. Damit hatte freitag.de eine Menge mit dem gemeinsam, was sich draußen im Netz, auf den großen sozialen Plattformen, abspielte.
Kommt in den Garten
Und genau das wurde zum Problem, als den neuen Freitag die erste Krise erfasste. Angesichts knapp werdender Ressourcen mussten Kräfte plötzlich darauf konzentriert werden, das System am Laufen zu halten und wöchentlich eine gedruckte Zeitung an den Kiosk zu bringen. Wo früher Zeit war, heiße Diskussionen zu führen, das Netz für sich zu entdecken und auszuprobieren, fehlte sie jetzt.
Beinahe gleichzeitig schickten sich die großen Online-Plattformen an, zu „Walled Gardens“ zu werden – zu Orten, an denen der Nutzer möglichst wenig Anreize verspürt, sie wieder zu verlassen. Damit waren sie keineswegs allein. Letztendlich versuchte im Internet beinahe jede Webseite, Besucher so lange wie möglich zu binden. (Nicht zuletzt deswegen gibt es bis heute bei vielen journalistischen Medien die Unart, verlinkungsfaul zu sein. Dass dies bezüglich der eigenen Glaubwürdigkeit mitunter unangenehme Kollateralschäden nach sich ziehen kann, wird zumindest in Kauf genommen. ,Netzwerkgerechte Ansprache‘ und Klickhunger tun dem Qualitätsjournalismus ihr Übriges.)
Nun ist es im Internet in der Regel so, dass der größte Player über kurz oder lang eine solche Gravitation entwickelt, dass es für Konkurrenten schwer wird, neben ihm zu existieren. Das gilt für Amazon als Einkaufsplattform wie für Google als Suchmaschine – wer weiß schon, wer die Nummer zwei ist? Ja ja, so sehr man Twitter auch mag, erzeugt doch der Facebook-Konzern nach wie vor mit weitem Abstand die mächtigste Anziehungskraft auf soziale Kommunikation. Für den Freitag hatte das den Effekt, dass sich die Diskussionen peu à peu von den eigenen Seiten in die sozialen Medien verlagerten. Ohne Lockstoffe blieben die Kommentare, wo ihre Verfasser eh schon waren: in ihrem sozialen Netzwerk. Dieser Prozess betraf auch andere Medienhäuser, in den meisten dürfte man den „Drunterkommentaren“ nicht nachgeweint haben.
Worum sich freitag.de in erster Linie drehte, war also gezwungenermaßen nicht länger der Kommentar, sondern der Beitrag. Während es schien, als ob man den einen Kampf verloren hätte, bot jeder Beitrag nach wie vor die Chance, in den sozialen Medien zu verfangen und Leser auf die eigene Seite zu locken. Es wirkte ja auch irgendwie stimmig. Der Freitag ist eine Zeitung. Und in einer Zeitung werden Texte geschrieben.
Die Aggregatoren brauchen uns nicht
Zum Problem wurde allerdings, dass Facebook die Mauern seines Gartens noch etwas höher zog und der Zugriffsverkehr, der bis dato verlässlich von dort auf die eigenen Seiten floss, abebbte. Es sei denn man zahlte. Oder gab die Artikel – als sogenannte Instant Articles – gleich ganz ab, sodass der Leser Facebook gar nicht mehr verlassen musste, um den Text zu konsumieren. Für eine Branche, die Google als ihren Lieblingsfeind ausgemacht hatte, waren und sind all das Episoden auf dem Weg zu dieser Erkenntnis: Auch Facebook ist ein Liebling der Werber – und nicht der Journalisten. Es braucht uns schlicht nicht, um Geld zu verdienen. Umgekehrt scheint das anders zu sein.
Der Autor Ben Thompson, der früher selbst für Microsoft und Apple arbeitete, schrieb unlängst einen Artikel über die Lehren, die man aus der massiven Entlassungswelle beim Internetmedium Buzzfeed ziehen sollte: Verlasst euch nicht auf die großen Aggregatoren und baut Webseiten, die im Zweifel auch ohne Facebook, Google & Co. funktionieren – sie stehen nicht auf eurer Seite! Natürlich hat er recht. Leichter wird es dadurch nicht. Die Abhängigkeiten sind real, das Machtgefälle ebenso. Über Google und Facebook kommt etwa die Hälfte der Besucher auf freitag.de.
Für den jüngeren Freitag der Zukunft muss das heißen, dass er sich auf seine Wurzeln zurückbesinnt. Die Beiträge der Community vereinen Monat um Monat bis zu einem Drittel des gesamtenfreitag.de-Verkehrs auf sich. Das ist viel und könnte in Zukunft noch mehr werden – wenn noch mehr Leute einen triftigen Grund hätten, ihre Gedanken in Textform auf freitag.dezu teilen.
Gleichzeitig erfreut sich unser Digitalabo wachsender Beliebtheit. Und laut einer Studie sollen vor allem jüngere Leser vermehrt dazu bereit sein, für digitalen Journalismus Geld auszugeben. Die Paywalls zeigen bei denen, die mit ihnen groß geworden sind, Wirkung. Die Zahlungsbereitschaft für digitale Erzeugnisse generell – seien es Filme, Serien, Hörbücher, Musik oder eben Text – steigt. Es gibt also Hoffnung.
Quid pro quo
Wenn sich der Freitag heute fragt, wie er das Internet sinnvoll nutzen kann, liegt eine der Antworten ausgerechnet hinter der Paywall – etwas, das vor zehn Jahren, in der Hochphase der „Kostenloskultur“, praktisch undenkbar gewesen wäre. Aber eine Paywall schafft einen Wert. Und damit kann man auch als Redaktion bezahlen: Warum nicht den Community-Mitgliedern, die besonders gute Texte schreiben, Zugang zu den Texten des Freitaggeben? Du bist jung und brauchtest das Geld – vielleicht für etwas anderes als Journalismus? Kein Problem, „erschreib“ dir deinen Freitag! Du hast schon ein Abo? Dann verschenk doch deine Bonus-Wochen! Deine Kommentare gefallen den anderen Nutzern besonders gut? Viel Spaß mit der neuen Ausgabe!
Es wäre eine Win-win-Situation. Für die Community-Mitglieder, weil sie sich die digitale Ausgabe erarbeiten könnten und einen (beinahe) handfesten Grund hätten zu schreiben. Und für den Freitag, weil er dafür mehr und bessere Beiträge zurückbekäme. Und ein paar zukünftige Abonnenten. Ganz abgesehen davon, dass für eine Zeitung nach wie vor entscheidend ist, ihren Lesern Gehör zu schenken. Nicht selten wissen sie es besser als eine betriebsblinde Redaktion.
Das alles mag nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Aber das Bewusstsein, dass Medien digital nur überleben können, wenn sie ihre eigenen funktionierenden Biotope schaffen: Das ist essenziell für ihren Fortbestand. Es sei denn, sie möchten den Gezeiten wie eine Nussschale auf Irrfahrt ausgeliefert sein. Denn im Netz gilt: Hic sunt dracones – inklusive ein paar größeren Fischen. Und auf Vater Staat ist kein Verlass.
Die Community wird für den Freitag eine entscheidende Rolle spielen. Wir haben jetzt schon eine lebendige, unorthodoxe und im Zweifel linke Userschaft. Und wenn die Erkenntnis einsickert, dass sie ein einzigartiges Standbein und nicht nur Werbegag ist, wird sie auch die Aufmerksamkeit und die Anerkennung bekommen, die sie verdient. Denn das ist es, was eine Community braucht, um zu funktionieren.
Vielleicht wird der Freitag auch nie gänzlich seinen naiven Gründungsanspruch, eine digitale Gemeinschaft zu schaffen, erfüllen können. Vielleicht wird freitag.demehr Schreibwerkstatt und Lesezirkel. Vielleicht ist es auch genau das, was eine Redaktion ausmacht – selbst wenn es nicht ganz die größte Deutschlands wird. Dafür könnte es eine digitale werden, die funktioniert. Und vielleicht ja auch eine, die ihren Schreibern etwas zurückgeben kann, weil wir ,in this together‘ sind. Mich jedenfalls könnte man mit dieser Aussicht noch immer ködern.
Der Autor war 2009 zunächst Beta-Tester des neuen Freitag, arbeitete im Anschluss mit Teresa Bücker im Community-Ressort und folgte schließlich 2012 auf Jörn Kabisch als Online-Chef
Dieser Text erschien in der Jubiläumsausgabe des Freitag